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Resonanz statt Dominanz – Dialog, tiefes Verstehen und nachhaltig produktive Lösungen

Und natürlich geht es in diesem Beitrag auch wieder um Veränderung, um Change und zwar vor dem Hintergrund tief verwurzelter kultureller, gesellschaftlicher und ökonomischer Haltungen zur Welt, die letztlich mit fast zwingender Macht ein Verhalten hervorbringt, das zur Vernichtung unserer Lebensgrundlagen zu führen droht. Das ist die Makroperspektive.

Die Mikroperspektive, d.h. das Agieren von und in Unternehmen durch alle an produktiven Prozessen Beteiligte unterliegt denselben durch die Haltung zur Welt bedingten Prinzipien.

Die Fähigkeit, tiefgreifenden und immer schnelleren Change nicht nur zu bewältigen, sondern zu gestalten, bedarf einer kommunikativen Kultur und Haltung, die Hartmut Rosa, einer der weltweit führenden deutschen Soziologen und Sozialphilosophen, in der Zeit (N°29, 11.07.2019, S. 38/39) in seinem Essay mit dem bezeichnenden Titel : “Ohnmacht – Was muss sich ändern? mit dem Untertitel: Es herrscht rasender Stillstand – Unser Verhältnis zur Welt ist versteinert” (https://www.zeit.de/2019/29/weltbeziehung-moderne-rastlosigkeit-hartmut-rosa) für das “Große Ganze” postuliert.

Hier soll zunächst der Essay von Hartmut Rosa zusammengefasst werden. Dann will ich zeigen, dass die von Hartmut Rosa skizzierte anzustrebende Haltung zur Welt bereits in einem Konzept der “Lernenden Organisation” in den 90er Jahren formuliert wurde und weltweit in Unternehmen zur Anwendung kam und kommt, um Gemeinsamkeit, Gemeinschaft und nachhaltige Lösungen zu generieren, der “Bohmsche Dialog”.

Doch zunächst zu Hartmut Rosa.

In dem, was er “Weltbeziehung” nennt – und was er als ursächlich für die Dynamik der Entwicklungen in der Gegenwart ausmacht – macht er ein Streben nach Emanzipation, Selbstbestimmung, Befreiung, Autonomie und Souveränität aus – im Individuellen wie im Kollektiven. Das definiert eine Haltung, eine “Aggressionsverhältnis zur Welt” mit der Konsequenz einer immer “rücksichtsloseren Nutzung aller Naturressourcen, einschließlich der psychischen Ressourcen des Menschen”. Und es zeigt sich in einem” aggressiven Politikverständnis, in einem Wutbürgertum, in dem die anderen die “Manifestation des Bösen” schlechthin zu sein scheinen (Muslime, Flüchtlinge, Umweltverpester, Vaterlandsverräter…).

Indem Rosa 5  Ausprägungen von Souveränität auf individuelle, kultureller und politischer Ebene differenziert, kommt er zu dem Schluss, dass damit der Verlust einer existenziellen Bezogenheit einhergeht. Die scheinbare Unabhängigkeit von anderen, der Geschichte, der Natur hat gerade, was die Natur betrifft, nicht nur zu deren rücksichtsloser Ausbeutung geführt sondern auch dazu, das diese als “das Bedrohte und dadurch Bedrohliche zugleich” erscheint. Dies führt konsequenterweise zu einer tiefen Verunsicherung der so angestrebten Souveränität und der Erfahrung ohnmächtig zu sein.

Nun sieht er das Ziel nicht darin, Souveränität zu begrenzen, sondern in einem Sich-Austauschen, einer Wechselbeziehung zwischen Natur, Geschichte, politischen Institutionen und den Mitmenschen und einem Antwortgeschehen, das sich dann ereignet. Er spricht hier von Resonanz als “Gemeinwohlidee”, die nur dann entsteht, wenn  wir die Fähigkeit, berührt zu werden durch ein Anderes entwickeln und nutzen und andere zu berühren ohne über diese zu verfügen. Er spricht von “wechselseitiger Anverwandlung”, von “unentfremdeter Lebendigkeit”. Anders ausgedrückt – so jedenfalls verstehe ich Hartmut Rosa hier – geht es um ein Sich-Öffnen für die Konsequenzen unseres Handelns, um deren vorbehaltlose Wahrnehmung als Antworten auf unser Verhalten, basierend auf der oben beschriebenen Haltung Zur Welt.

Es geht nicht nur um eine Haltung des Aktiv oder Passiv, um ausüben oder erleiden, um Sender und Empfänger, sondern es geht um das Dazwischen. Die Natur ist nicht zu gestaltendes Objekt durch ein Subjekt Mensch, sondern in einem Antwortverhältnis zur Natur erfahren wir über eine “Haltung des Hörens und Antwortens” uns als mit der Natur Verbundene erfahren und erleben. Man könnte auch sagen: Von der Dominanz zur Resonanz, zum Lauschen, zum Sich-Öffnen für das andere, den Anderen. Letztlich schwingt hier auch sehr stark der Begriff Empathie zwischen den Zeilen des Soziologen. Das einfühlende Verstehen. Und so spricht er auch von dem “Aspekt der Fürsorge”, der in  Resonanz immer auch mitgemeint ist.

In der politischen Sphäre führt das zu einer Haltung des sich als Wesen Begegnens, “einander etwas zu sagen haben”, “sich vom Anderen erreichen lassen”, selbstwirksam zu antworten vermögen. Und letztlich führt das dazu, dass sich alle dabei verwandeln indem sie sich berühren lassen.

Letztlich geht es um Beteiligung und nicht um Durchsetzung, es geht um Hören und Verstehen anstatt, um argumentieren und überzeugen. Dass eine so definierte Haltung gerade in Zeiten immer schnelleren Wandels eine sehr hohe Relevanz hat, ist – denke ich – sehr naheliegend. Und wenn wir uns die Talk-Runden landauf landab in den Medien betrachten, dann geht es da wohl häufig mehr um Argumentieren und Gegenargumentieren und um Positionierung und weniger um sich vom anderen erreichen, ja vielleicht sogar berühren zu lassen. Es geht oft mehr um ein Sich-Abgrenzen als ein Verstehen-Wollen, eben um Debatte, weniger um Dialog.

Und damit wäre ich beim Dialog, einem Konzept aus den 90er Jahren, das von einem der führenden Astrophysiker und Quantentheoretiker des 20. Jhdts. formuliert wurde und darauf abzielt, Denken als kollektives Phänomen zu begreifen und durch klare Regeln die Effizienz gemeinsamen Denkens ausrichtet auf einen gemeinsamen Sinn, der dem Einzelnen so nicht zugänglich ist. Es geht nicht um Diskussion, sondern um tieferes, gemeinsames Verstehen. Dialog ist in gewisser Weise auch ein Training, das kollektive Denken zu beobachten, Fakten von Annahmen bzw. Bewertungen zu unterscheiden und in einem gemeinsamen Prozess zu besseren Einsichten und Ergebnissen zu kommen.

Einige Regeln und Aspekte, die das Potenzial des Bohmschen Dialogs skizzieren und zeigen können, das wir hier offensichtlich genau die Haltung haben, die komplexe Probleme erkunden helfen und zu einem tieferen Verstehen führen und Veränderung ermöglichen – sozusagen eine bereits gegebene Antwort auf Hartmut Rosa und ein spannendes Konzepts in VUCA-Zeiten, also in Zeiten der Volatilität, Unsicherheit, Complexität und Ambiguität:

  • eigene vorgefasste Meinungen hinterfragen
  • sich selbst zuhören
  • infrage stellen, Neugier und Lust am Erkunden statt stets zu wissen und zu plädieren
  • empathisches Zuhören (zuhören mit dem Wunsch zu verstehen)
  • Gewissheiten suspendieren (d.h. loslassen)
  • die Wurzeln eigener Gedanken offenlegen und damit Verstehen bei anderen fördern
  • vorbehaltloses Respektieren von Meinungen
  • vom Herzen sprechen

Der Dialog nach David Bohm zielt u.a.auch darauf ab, komplexe Fragestellungen möglichst umfassend (Perspektivenvielfalt und -wechsel) zu erkunden und das Feld für Ideen und Lösung zu erweitern. Ausserdem schafft der Dialog tiefes Vertrauen indem die hier aufgeführten Regeln erlebbar werden. Das Berührt-Werden und sich Berühren-Lassen, wie Hartmut Rosa das formuliert, wird hier möglich.

Die Haltung im Dialog ist geprägt von der Vorstellung, dass nur dann echtes Verstehen, echte Gemeinschaft und wirkliches Lernen sich ereignet, wenn Annahmen, Vorstellungen, Werte und Überzeugungen offengelegt werden, als Abstraktion einer komplexen Wirklichkeit, subjektiv gefiltert im Bestreben, sich in der Komplexität zu orientieren und zu verorten. Und er lehrt den Dialog-Teilnehmern in der direkten Erfahrung, wie unser Denken in der unbewussten Verwendung von Annahmen, Vorstellungen, Werten und Überzeugungen inkohärent wird und dann schlicht und ergreifend falsche bzw. schädliche Ergebnisse liefert. Ohne hier tiefer gehen zu können, ahnen manche Leserinnen vielleicht an dieser Stelle, dass viele Probleme in unserer komplexer werdenden Realität mit solchen “Denkstörungen” zu haben.

Und wenn das Ganze mehr ist als die Summe der Teile (ein Diktum Aristoteles’), dann ist der Dialog sehr gut geeignet, das “größere Ganze” zu entdecken, herauszuarbeiten und zu einer umfassenderen und tieferen Sicht der Dinge zu kommen. Und das scheint in einer Zeit zunehmender Komplexität und sich beschleunigenden Wandels notwendig zu sein.

Empathisches Zuhören und die Neugier auf die “Weltsicht” der anderen führt notwendigerweise zur Integration, zur “Anverwandlung” wie Hartmut Rosa sagen würde im Sinne eines “tieferen Verstehens”.

Der Bohmsche Dialog nimmt im Modell der Lernenden Organisation, das vom MIT in den 90er Jahren entwickelt wurde und 5 Disziplinen formuliert, wie Organisationen und Menschen in Organisationen lernen, in der Disziplin “Teamlernen” eine zentrale Stellung ein (vgl. Peter M. Senge, Die Fünfte Disziplin, Klett-Cotta, 1996, S. 290 ff.).

Der Dialog kann von seinem Potenzial genau das leisten, worum es Hartmut Rosa – wie ich ihn in seinen Einlassungen zu dem, was sich ändern muss, verstehe – geht: Durch “geordnetes und explorierendes Sprechen in der Gemeinschaft”, basierend auf einer Ethik des Aufeinander-Bezogensseins, einen ganz wesentlichen Beitrag zu fundamentalem Veränderungen und Lösungen, nicht nur in Teams (Mikroperspektive) sondern auch in Gesellschaft und Kultur.

Es gibt etwas zu tun!!

 

Vertiefende und weiterführende Quellen:

https://www.gfk-institut.ch/wp-content/uploads/2015/07/a_cg_einf-bohm.pdf

http://www.integraleslebenwien.at/LS/K/David%20Bohm%20dialog.pdf

Georg Pfreimer  .  19. Juli 2019